DOMINANZ bei Hunden
DOMINANZ bei Hunden

DOMINANZ bei Hunden

Vom Platz auf der Couch zur Weltherrschaft

Bestimmt hat man als Hundehalter folgende Sätze so oder so ähnlich schon mal gehört: „Der ist aber dominant! Da musst du dringend was machen!“ – „Mein Hund kann nicht mit Rüden, er ist zu dominant“ – „Der Hund darf bei dir auf die Couch?! Mach, dass er da runterkommt, der denkt noch, er ist der Chef!“

Hunde hatten es in ihrer Domestikationsgeschichte mit uns Menschen echt nicht leicht. Es gab eine Zeit, in der die oben genannten Sätze herrschende Meinung waren und Hundetrainer sich bemühten, die „dominanten“ Hunde wieder „gefügig“ zu machen. Das Verhältnis schien wie in einer Hierarchie, der Mensch an der Spitze – nur darauf wartend, dass der Hund eines abends heimlich von der Couch aus einen Aufstand startet, um das Zepter zu übernehmen.

Gott sei Dank sind Menschen lernfähig und Hunde verzeihen uns einiges. Heute ist man daran interessiert, ein möglichst faires und freundschaftliches Verhältnis mit seinem Hund aufzubauen. Jedoch herrscht immer noch viel Unsicherheit bei dem Thema „Dominanz“: Gibt es sie bei Hunden überhaupt? Kann man etwas dagegen tun? Ist Dominanz „schlimm“?

Sind Hunde dominant?

Ja! Und Nein. Das Wort „Dominanz“ ist mit viel negativer Assoziation behaftet. Wenn wir an „dominante Personen“ denken, haben wir meist Schlagwörter wie „aggressiv“ oder „Unterwerfung“ im Kopf. Wenn man nach der Definition von Dominanz sucht, erhält man folgendes Ergebnis:

„Eigenschaft von Erbfaktoren, sich gegenüber schwächeren durchzusetzen“ oder auch als Synonym für „führende Rolle, Führerschaft, Überlegenheit, Übermacht, Vorherrschaft, Vormachtstellung, Vorrangstellung; (bildungssprachlich) Präpotenz, Superiorität“.

In Bezug auf unsere Hunde bzw. deren Vorfahren, den Wölfen, sieht man natürlich beim Lesen dieser Definition sofort das Bild des „starken, dominanten Alpha-Wolfes“, der das Rudel anführt und dessen Befehle absolut sind. Hunde bzw. Wölfe führen jedoch nicht mit Dominanz – weil es DIE Dominanz überhaupt nicht gibt. Um die ganze Sache zu erklären, müssen wir etwas ausholen und uns die einzelnen Stellungen bzw. Fähigkeiten eines Rudel- oder Gruppenmitgliedes anschauen.

Wilde Hunde und Wölfe leben in Familienverbänden. Damit dieser Verband funktioniert, braucht es – ähnlich wie in der menschlichen Gesellschaft – verschiedene Typen mit unterschiedlichen Kompetenzen. Ein Mitglied kann zum Beispiel sehr gut jagen, ein anderes ist sehr wachsam und meldet potentielle Eindringlinge, jemand anderes kümmert sich wunderbar um den Nachwuchs. Jedes Tier dieser Gruppe hat Bereiche, in denen es „besser“ ist als ein anderes, jedoch hat es dadurch auch Defizite.

Der Wachposten meldet zwar mit 100%-iger Sicherheit, jedoch ist er beim Jagen eine Niete. Der Anführer kann zwar mit seiner ruhigen Präsenz und seinen klaren Entscheidungen die Gruppe leiten, jedoch wäre er ohne seine Wachposten und Nachwuchsbetreuer nichts. Das System funktioniert geschlossen und jeder nimmt einen wichtigen Platz darin ein.

Wenn sich nun ein neugieriger Jungspund aus der Gruppe dem Anführer etwas respektlos und stürmisch nähert und dieser dem Jüngling eine Korrektur gibt (Schnauzengriff, Verwarnung durch Knurren, etc.), ist das Leittier dann deswegen dominant?

JA!

Aber auch Nein. Das Tier ist IN DIESEM MOMENT dominant. Das nennt man situative Dominanz. Das Leittier handelt in diesem Moment nach seinen Kompetenzen und setzt sich somit gegenüber dem Jungspund durch.

Auch der Jungspund kann schon Dominanz zeigen – er ist nämlich ein Meister darin, an Dingen dran zu bleiben. Seine supertolle Beute, und wenn es auch „nur“ ein kleines Stöckchen ist, lässt er sich nicht abnehmen, so sehr es ein anderes Mitglied auch versucht. Der Jungspund ist also, wie eben erwähnt, in DIESER SITUATION dominant.

Kein Hund und kein Lebewesen ist NUR dominant. Jedoch hat jeder Hund bestimmte Situationen, in denen er dominant sein KANN – was wiederum auch nicht besonders schlimm ist!

Was tut man „gegen“ Dominanz?

Der Rüde benimmt sich seit der Pubertät wie die Axt im Walde. Fremde Hunde werden angepöbelt, man selbst wurde schon angeknurrt, als man ihm ein Spielzeug wieder abnehmen wollte, Befehle werden nur noch nach Lust und Laune ausgeführt. Man bekommt zu hören: „Du musst ihm zeigen, wer der Chef ist! Der ist dominant! Dagegen hilft eine Kastration, der hat zu viel Testosteron.“

Leider werden diese Ratschläge nicht viel bringen, denn der Rüde ist NICHT dominant. Der Rüde wird erwachsen und reagiert eventuell aus Unsicherheit heraus – er denkt absolut nicht er wäre der „Chef“, er ist hilflos und WARTET auf einen „Chef“, der ihn sicher durch’s Leben führt. Einen körperlich und geistig noch nicht voll entwickelten Hund zu kastrieren, hilft weder gegen die Unsicherheit noch gegen die angebliche „Dominanz“. Durch die fehlenden, wichtigen Hormone kann es zu noch schlimmeren Unsicherheiten kommen und der Hund hat nie die Chance, wirklich erwachsen zu werden.

Doch wie hilft man nun dem Rüden?

Man wird DOMINANT – situativ dominant.

  • Bei Hundebegegnungen nimmt man seinen Hund zur Seite und führt ihn selbstsicher vorbei.
  • Bei Ressourcenproblemen bleibt man beharrlich, aber ruhig und bestimmt.
  • Bei Befehlsverweigerung hat man Ausdauer und bleibt dran, bis dieser ausgeführt wurde. Ohne Ärger, Wut oder Schreien. Sondern mit Präsenz und Ruhe.

In all diesen Situationen ist man DOMINANT gegenüber dem Hund – mit der Intention dahinter, dem Hund HELFEN zu wollen. Diese Dominanz hat nichts mit Unterwerfung oder Aggressivität zu tun. Wir geben dem Hund Sicherheit durch starkes und selbstbewusstes Auftreten – und dieser Sicherheit wird der Hund gerne und freiwillig folgen.

Wir sehen also, Dominanz ist, situativ eingesetzt, in keinster Weise etwas Negatives und ist essentiell für das Bestehen einer Gruppe oder eines Familienverbandes. Jedes Lebewesen hat seine Kompetenzen, in denen es dominant sein kann, und niemand ist „100% nur dominant“. Deswegen gibt es auch nichts an den abend­lichen Kuschelrunden zusammen mit dem Hund auf der Couch auszusetzen. Er wird von dort aus niemals die Übernahme der Weltherrschaft planen, versprochen!

Wie immer gibt es hier und da sicherlich Ausnahmen. Sollte also doch nach etlicher Zeit des Trainings die Entscheidung fallen: „Ich muss den Hund Kastrieren“, geht bitte erst den Weg einer chemischen Kastration. Das bedeutet: Der Hund bekommt einen Chip eingesetzt. Die Hormone werden heruntergefahren. Langsam und regelrecht behutsam.

Bemerkt man an dieser Stelle, dass der Hund endlich entspannen kann und gelassener unterwegs ist, kann eine Kastration u.U. sinnvoll sein.

ABER auch nur dann, denn ab ist ab!

Bedenkt: Einen Hund auf hohem Hormonlevel die Hoden abzuschneiden, kann ihn – an diesem Punkt seines Motivationslevels – regelrecht einfrieren. Also, wenn überhaupt, erst eine chemische Kastration – Hormone runter fahren lassen, gucken, bringt es etwas – und dann kann man über eine Endgültigkeit nachdenken.

Mehr zu diesem sehr komplexen Thema
kann man in diesem Buch nachlesen:
„Kastration und Verhalten beim Hund“
ISBN-10: 3275018205

Nadine Pfeiffer


Foto: Sabrina Kaiser

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